80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und angesichts anhaltender brutaler und kriegerischer Auseinandersetzungen in der Welt behandelt dieses Konzertprogramm auf rein musikalisch-künstlerische Weise den Horror des gewaltsamen Todes.
Die Kompositionen von Thomas Jennefelt, Jaakko Mäntyjärvi, Yui Katada und Francis Poulenc sind bedrückend: Die Komponistin Yui Katada vertont Schriften japanischer Widerstandskämpfer kurz vor Vollstreckung der Todesurteile, Jaakko Mäntyjärvi die Alarmglocken aus Edgar Allen Poes Gedicht „The Bells“. Die bekannte Entstehungsgeschichte von Francis Poulencs „Figure Humaine“ steht im direkten Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, Thomas Jennefelt hingegen verzichtet in seinen „Gesängen am ersten Abend des Krieges“ ganz auf Text und setzt Ängste und Vorahnungen direkt in Klang um.
Diesen beklemmenden Werken werden Schlager und Chansons der 1910er – 1940er Jahre gegenübergestellt: zunächst von forschen Marschrhythmen geprägt, später in lockerem Foxtrott und Swing und zuletzt in sehnsüchtigen Schlagern – immer auch eine Flucht vor der harten Realität. Diese Stücke erklingen in von Kerstin Behnke und Ingmar Rosenthal arrangierten Sätzen: Zum Teil nur in kurzen instrumentalen Einsprengseln, in vom Akkordeon begleiteten solistischen Passagen und als volle Sätze für Chor und Akkordeon. Diese eher heitere Klangwelt unterbricht immer wieder die unheilvolle Atmosphäre der originalen Chorwerke, macht aber gleichwohl in ihrem harten Kontrast den Schrecken noch greifbarer.
Ein weiteres musikalisches Element ist ein Polyphon vom Beginn des 20 Jahrhunderts, auf dessen Platten die marschähnlichen Chansons des beginnenden 20. Jahrhunderts zu hören sind. Diese historischen Klänge sind Teil der Arrangements und Improvisationen. Das musikalische Konzept dringt hiermit auch in den privaten Bereich ein, stellt es doch eine der ersten Möglichkeiten dar, die geliebten Schlager auch zu Hause so oft wie gewünscht zu hören.
Klanglich noch intimer sind die alten Spieluhren mit Schlafliedern, in die das gesamte Konzert eingebettet ist. Auch in Jennefelts Gesängen erklingt ein Schlaflied ohne Worte, bei den Spieluhren allerdings sind die Lieder so bekannt, dass man die Worte zu hören scheint. Lieder, die an den Wiegen der Kinder erklangen, die dann als viel zu junge Menschen ihr Leben gewaltsam verloren haben. Auch diese Klänge werden von Chor und Akkordeon weitergetragen und in eine stille Improvisation eingebunden. Zum Ende des Konzerts bis zum absoluten Stillstand verlangsamt.
Die letzten gesungenen Worte gehören der Elegie aus den „Trois Mélodies“ (1886) arrangiert für Solo, Chor und Akkordeon von Erik Satie, der sich vehement gegen den Krieg gestemmt hat.
Ich sah, wie mein Glück,
wie ein Traum,
wie eine grausame Lüge,
verblasste. Anstelle der süßen Hoffnung
habe ich nur noch Leiden
und Schmerz.
Früher sang meine verrückte Jugend
ständig
das Liebeslied.
Aber die geträumte Illusion
löste sich
an einem einzigen Tag in Luft auf.
Ich musste mein langes Martyrium erleiden,
Ohne es zu verfluchen,
Ohne zu seufzen.
Das einzige Mittel auf Erden
Für mein Elend
Ist zu weinen.
J. P. Contamine de Latour